Johanna Stahl

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Dr. Johanna Stahl

Dr. Johanna Stahl (* 16. März 1895 in Würzburg; † Juni 1943 in Auschwitz) war Journalistin der bürgerlichen Frauenbewegung und engagierte Sozial- und Emigrationsberaterin für Jüdinnen und Juden während der NS-Verfolgungen. Anstelle ihres Geburtsnamens verwendete sie den Vornamen Henny und publizierte ausschließlich als Henny Stahl.

Leben und Wirken

Henny Stahl war das jüngste Kind der bildungsbewussten jüdischen Familie von Samuel und Regine Stahl in Würzburg. Als Mädchen vom Besuch eines Gymnasiums ausgeschlossen, ging sie auf die private, nichtkonfessionelle Sophienschule. Hier kam sie mit dem bürgerlichen Frauenbildungsverein "Frauenheil" in Berührung, der die Schule mitbegründet hatte. 1914 legte Henny Stahl ihr Externen-Abitur ab und studierte anschließend Germanistik in Würzburg und Volkswirtschaftslehre in Frankfurt a.M. In beiden Städten arbeitete sie parallel zum Studium im Versorgungsamt. Nach einer sozialwissenschftlichen Promotion 1921 kehrte sie in ihre Heimatstadt Würzburg zurück, wo sie mit kurzen Unterbrechungen bis zu ihrer Deportation 1943 lebte. Sie blieb unverheiratet und wohnte mit ihrer Mutter und zwei Geschwistern zusammen.

Bürgerliche Frauenbewegung und Politik

Henny Stahl verfasste eine wissenschaftliche Studie über öffentlich unterstützte Bedürftige in der Stadt. Vor allem baute sie sich jedoch eine freiberufliche Existenz als Journalistin auf: Sie schrieb für die Bayerische Israelitische Gemeindezeitung und vor allem für die Frankfurter Zeitung. 1927 organisierte sie für den Würzburger Verein „Frauenheil“ eine Vortragsreihe zur kulturellen Bedeutung der „Fürsorge“ und referierte 1930 zur „Stellung der Frau im Recht“. Daneben engagierte sie sich politisch in der liberalen DDP und wurde 1929 zu einer Stadtratsstellvertreterin gewählt. Zur gleichen Zeit begründete Stahl in einer Versammlung der jüdischen Gemeinde ausführlich den Antrag der großen liberalen Minderheit, Frauen das passive Wahlrecht zu gewähren. Mehr als ein Kompromiss, der den Frauen punktuell mehr Mitsprachemöglichkeiten gab, war jedoch nicht zu erreichen. Ihr Engagement für Frauenthemen in Würzburg und ihre journalistische Arbeit legen den Schluss nahe, dass sich Stahl als Akteurin der bürgerlichen Frauenbewegung verstand. Im Jüdischen Frauenbund, der keine Ortsgruppe in Würzburg hatte, war sie hingegen wohl nicht aktiv.

Journalistische Arbeit

Im Herbst 1927 übertrug der Verband der Bayerischen Frauenvereine Dr. Henny Stahl die Schriftleitung seiner Verbandszeitung. Die Bayerische Frauenzeitung war Ende 1926 gegründet worden und erschien in der Verlagsdruckerei Würzburg. Stahl warb die Inhalte ein und stellte die alle zwei Wochen erscheinenden Ausgaben zusammen. In ihren eigenen Artikeln nehmen politisch-rechtliche Themen sowie Frauenthemen im engeren Sinne den breitesten Raum ein. Die Autorin präsentiert sich dabei als eine sachlich analysierende, gebildete und belesene Frau mit gesellschaftspolitischem Verantwortungsbewusstsein. Sie vermittelt Wissen, gibt Denkanstöße und unterbreitet Handlungsideen. Als ihr Arbeitsverhältnis mit der Verlagsdruckerei Würzburg im Sommer 1931 endete, musste sich Dr. Henny Stahl vor Gericht erst das Recht erstreiten, den ausstehenden Lohn der letzten fünf Monate vollstrecken zu lassen. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Bayerische Frauenzeitung im März 1932 eingestellt.

Ab 1934 durfte Henny Stahl aufgrund der NS-Gesetzgebung nicht mehr für nichtjüdische Zeitungen arbeiten. So schrieb sie neben ihrer zeitintensiven Sozialarbeit Artikel für jüdische Medien: die Zeitungen des bayerischen Israelitischen Landesverbands, der Jüdischen Gemeinde Frankfurt „Für die jüdische Frau“, der CV-Zeitung „Das Blatt der jüdischen Frau“, für die Blätter des jüdischen Frauenbundes sowie zwei weitere jüdische Frauenzeitungen. Nah an ihrer Beratungsarbeit ging es vermehrt um Fragen, die im weitesten Sinne mit der Emigration und dem Weiterleben der jüdischen Gesellschaft, mit Ermutigung und dem Erhalt von Werten zu tun hatten. Durch beide Phasen ihrer journalistischen Tätigkeit zieht sich das Thema „Frauen“ wie ein roter Faden: Nur zwei ihrer bislang bekannten 57 Artikel wurden nicht in einer Frauenzeitung oder einer Frauen-Beilage gedruckt oder drehten sich um ein Frauenthema!

Soziale Beratung und Unterstützung

Großer Beratungs- und Handlungsbedarf entstand angesichts der NS-Verfolgungsmaßnahmen seit 1933 in der jüdischen Gemeinde. Stahl konnte hier ihre wissenschaftliche und praktische Expertise einbringen und begann 1934, als Mitarbeiterin der „Arbeitsgemeinschaft für Beratung und Wirtschaftshilfe“ zu arbeiten, die die Selbsthilfeaktivitäten der jüdischen Gemeinde in Würzburg koordinierte. Sie beriet von Boykottaktionen und Berufsverboten Betroffene und gab Hilfestellung bei der beruflichen Neuorientierung. Zudem unterstützte sie Auswanderungswillige mit Rat und Tat. Mordechai Ansbacher (1927-2021), dessen Mutter eng mit ihr befreundet war, lobte Henny Stahl für dieses Engagement in den höchsten Tönen. Er beschrieb sie als „intelligente, besonders fähige Person“. Obwohl sie 1938 hätte emigrieren können, sei sie in Würzburg geblieben, um die vielen Hilfsbedürftigen nicht im Stich zu lassen. Stahl gehörte zu der Gruppe der letzten GemeindefunktionärInnen, die ihre Arbeit auch in der Zeit der Deportationen seit November 1941 fortsetzten und deshalb bis zum Ende 1943 in Würzburg blieben.

Verhaftung und Deportation

Einen Besuch von Dr. Gertrud Luckner, die im Auftrag der Caritas Verfolgten half, nutzte die Gestapo im März 1943 als Anlass, um Henny Stahl und ihren Kollegen Iwan Schwab, den Leiter der jüdischen Geschäftsstelle, zu verhaften. Luckner wurde auf der Rückreise im Zug verhaftet. Kurz darauf durchsuchte die Gestapo das Büro der Arbeitsgemeinschaft nach Beweisen für eine enge Zusammenarbeit. Man fand zwar nichts, doch Stahl und Schwab kamen aus dem Gefängnis nicht mehr frei. Mit dem Transport, der am 17. Juni 1943 Würzburg über Nürnberg in Richtung Auschwitz verließ, wurde Henny Stahl zusammen mit der letzten größeren Gruppe unterfränkischer Jüdinnen und Juden deportiert. Auch ihr Bruder Eugen und ihre Schwester Jenny gehörten dazu. Die Stahl-Geschwister wurden in Auschwitz nicht einmal mehr registriert, sondern vermutlich kurz nach der Ankunft ermordet.

Gedenken

Siehe auch

Quellen

  • Riccardo Altieri: Johanna Stahl: Wirtschaftswissenschaftlerin – Politikerin – Frauenrechtlerin, Berlin/ Leipzig 2022 (Jüdische Miniaturen, Bd. 298). Dazu die Rezension auf HaGalil
  • Roland Flade: Johanna (Henny) Stahl (1895-1943). Journalistin, Volkswirtschaftlerin, Sozialarbeiterin (Würzburg), in: ders., Jüdische Familiengeschichten aus Unterfranken, Würzburg 2015, S. 244-249.
  • Rotraud Ries: Johanna (Henny) Stahl (1895-1943) – eine jüdische Journalistin der bürgerlichen Frauenbewegung, online-Biographie auf Bavaria Judaica, 2023
  • Rotraud Ries: Schreiben für Wissen und Ermutigung, in: Main-Post, 27. Januar 2023; online unter: Journalistin aus Würzburg und Akteurin der Frauenbewegung: Henny Stahl und die „Bayerische Frauenzeitung“, in: Main-Post-online, 25. Januar 2023
  • Henny Stahl: Würzburg, in: Die örtliche und soziale Herkunft der öffentlich unterstützten Personen, insbesondere der verwahrlosten Familien. 1. Preisaufgabe der Sächsischen Landeswohlfahrtsstiftung, Leipzig/ Berlin 1927, S. 167-204.
  • Reiner Strätz: Biographisches Handbuch Würzburger Juden 1900-1945. Mit einer wissenschaftlichen Einleitung von Herbert A. Strauss. Red. Bearbeitung: Hans-Peter Baum u.a., Teilbde 1-2, Würzburg 1989 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg, Bd. 4), Teilbd. 2, S. 575.
  • Christine Weisner: Wer war Henny? Die Namensstifterin des Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken, in: Kulturgut. Magazin für die Kulturregion Würzburg, H. 5, April 2011, S. 64 f.

Ungedruckte Quellen

  • Mordechai Ansbacher an Rosa Grimm, 14.09.1995, Sammlung Johanna-Stahl-Zentrum.
  • Staatsarchiv Würzburg, Gestapo 14898.
  • Johanna Stahl: Die soziale Bedeutung der Möbelabzahlungsgeschäfte und ihre Reform, maschschr. Diss., Universität Frankfurt a.M. (1921), Universitätsbibliothek Frankfurt a.M., Dq 1 923.

Weblinks

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