Vom Sperrmüll nach Ägypten - Das AKW im Strom der 80er Jahre

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Eine kleine Kulturgeschichte

(aus Schmidt Würzburg/Die Stadtillustrierte, Ausgabe 2/1991, Seite 50-53)

Wie die Zeit vergeht: genau vor einem Jahr musste das „Autonome Kulturzentrum Würzburg” nach achtjähriger Arbeit dichtmachen. Nach problematischer Raumsuche, zähen Verhandlungsgesprächen mit der Stadt und immer wieder neuen Verzögerungen stehen nun die Mietverträge für einen Teil des Patriziergeländes ins Haus. Im Frühsommer soll eine vorerst kleine Variante des neuen AKW eröffnet werden. Das alte AKW ist zu einem Stück Würzburg der 80er Jahre geworden. Jörg Töppner hat eine entsprechende kleine Kulturgeschichte geschrieben.

Vom WuF zum AKW

In den siebziger und frühen achtziger Jahren gründete sich in der gesamten Republik aus einem Milieu linker außerparlamentarischer Gruppen bzw. der sogenannten „alternativen” Szene eine Reihe von Zentren mit einer eigenen Mischung aus Kultur, Politik und Kneipentreff. Der überwiegend von Second-Hand-Mobiliar und Pflanzen geprägte Einrichtunsstil, umgeben von Jeans, Latzhosen und Selbstgestricktem, hatte etwas Vorläufiges, eine eher rustikale und ländlich anmutende Aura denn städtisches Design. Eins der bekanntesten Zentren dieser Art im süddeutschen Raum ist das Nürnberger KOMM.

Die „alternative” Szene - in Würzburg wesentlich aus den unruhigen „Bossle-Jahren” und der aufkommenden Anti-Atombewegung entstanden - hatte im alten Mainviertel, unterhalb der Festung ein kleines Zentrum, das „WuF” (Werdet unsere Freunde). Kleine Kuriosität am Rande: Das WuF war zuvor ein „konspirativer” Treff für die Aktivitäten des KABD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschland) [1] und dessen Studentengruppe KSG, einer Splittergruppe der marxistisch-leninistischen Organisation in der linkstraditionellen Nachfolge der APO (Außerparlamentarische Opposition) [2]; sie verschwand Anfang der 1980er Jahre von der politischen Bildfläche.

Es folgte eine frische Mischung unterschiedlichster Färbungen. Der Bogen spannte sich von der Umwelt- über die Schwulengruppe WüHSt hin zur Selbstorganisation der Zivildienstleistenden und Fachschaftsinitiativen der Universität. Sie alle nutzten diesen Treff für Arbeitsgruppen und legendäre Feten, bis im April 1982 das „Aus” u.a. wegen Anwohnerbeschwerden kam. Aus diesem überwiegend studentisch geprägten Milieu rekrutierte sich nun auch ein Teil der Gründungsgruppe für das AKW. Mehr durch Zufall denn durch Planung gelang es damit dem links-alternativen Milieu ein Stück eigener Geschichte institutionell fortzuschreiben.

Kommunikations- und Kulturzentrum

Das alte „AKW”: ein Stück Würzburger Geschichte der 80er Jahre

Damit meinte laut Volker Peter, Mitbegründer des AKW, zunächst „einen antikommerziellen Treff, wobei möglichst keine Unterschiede zwischen Machern und Nutzern bestanden.” Es galt sowohl „eine Gegenkultur zu entwickeln gegen den herrschenden Kulturbetrieb, als auch einen Lebensentwurf zu wagen, um sich weitgehend den Konsumzwängen zu entziehen”, so Christian Klement, langjähriger Mitarbeiter in der Programmgruppe des AKW. Diese oppositionelle Grundhaltung (sie war sicher so nur für einen Teil der Mitarbeiter bestimmend) bezeichnete zugleich den Ort, an dem sich das AKW ansiedelte: Geographisch am Rande der Altstadt, beschrieb dies ungewollt eine symbolträchtige Lage. Einerseits fühlte man sich wohl am selbstgewählten Rand einer ungeliebten Gesellschaft, deren Teil man gleichwohl war; andererseits stand man quasi auf dem Sprung.

Ohne große theoretische Debatten verstand man sich als „alternatives” Kommunikations- und Kulturzentrum, was in der Anfangsphase Kneipe und Kulturbetrieb hieß, wobei letzteres der mehr zufälligen Initiative Einzelner überlassen wurde. Das Musikprogramm gestalteten engagierte Einzelpersonen, unter ihnen für einige Zeit auch Jürgen Königer, Würzburger Musikproduzent der Avantgarde [3]. Das letztlich doch sehr enge Kulturprogramm der „Alternativszene [4]”, wenige Jahre zuvor noch weitgehend dem Liederjan [5] hörig, erfuhr damit eine fruchtbare Erweiterung. - Die verschiedenen Szenen kamen in erste Berührung mit differenzierten Musikströmungen experimenteller Art und einem eher ästhetisierenden Lebensstil. Veränderungen bewirkte diese Begegnung allerdings erst später.

Darüberhinaus wurde das AKW zu einem Ort lebhafter politischer Diskussion, etwa über die Nato-Nachrüstung [6], Volkszählung [7], Startbahn West [8], Nicaragua. Es wurde zu einer eigenständigen Institution politischer Bildung und Kultur. Für viele politische Gruppen stellte der Ort erst die Möglichkeit zur Arbeit. Andere Zentren wie das KOMM [9] formulierten dies auch auf programmatischer Ebene und prägten den Begriff des „Soziokulturellen Zentrums” [10]. Eine vergleichbare kulturpolitische Diskussion gab es im AKW nicht. Wohl aber orientierte sich der Kern an zentralen Symbolbegriffen der „Szene”.

Alternativ, kollektiv, autonom

Dieses Trio prägte nicht nur den Namen, es war sicher auch identitätsstiftende Begriffssymbolik für wesentliche Teile des AKW-Teams und das ihm verbundene Milieu. „Autonom” [11], das bedeutete u.a. „keine Staatsknete, keine Abhängigkeit von staatlichen Geldern” (Klement). „Kollektiv” [12] als Begriff für die Struktur besagte in der Anfangsphase mit einem etwas diffusen Verständnis von Basisdemokratie [13], dass „alle Entscheidungen von allen Mitarbeitern” gefällt wurden, resumiert Manfred Lang, Mitbegründer des AKW und Redakteur des hauseigenen Info-Hefts. Am radikalen Anfang war dabei auch das Publikum einbezogen. Dieser Zustand währte allerdings nur einen „kurzen Sommer der Anarchie [14]”.

Manfred Lang: „Kultur von allen, für alle ist am Anfang gescheitert. Wahrscheinlich existierte diese Haltung so auch gar nicht.” Denn die Benutzer waren „in der Mehrzahl in erster Linie Konsumenten, die überhaupt kein Interesse daran hatten, über wichtige Probleme des Ladens zu diskutieren”, ergänzt Volker Peter. Folglich bildete sich allmählich ein relativ fester, überschaubarer Stamm von Mitarbeitern heraus - das Kollektiv nahm Konturen an. Die Realität korrigierte den Überbau, die symbolträchtigen Begriffe wurden gleichwohl beibehalten. Eine wichtige Diskussion über die Funktion und Struktur des AKW wurde in dieser Phase möglicherweise versäumt zu führen, denn die auf die Gründungsphase folgenden krisenhaften Ereignisse trafen die Mitarbeiter doch reichlich unvorbereitet.

„Müsli” contra „Punk”

„Design” mit Understatement: die alte AKW-Kneipe

Zwei subkulturelle randständige Milieus prallten heftigst aufeinander, „alternativ/müsli” und „no future/noise/Provokation”. Das waren einander ausschließende Lebensstile. Sozialarbeiterisch motivierte Lösungsversuche mussten nicht zuletzt an der Verwechslung von Kulturzentrum und pädagogischer Beratungsstelle scheitern. Sicher gab es für solche Konfliktsituationen in anderen Zentren wie z.B. dem KOMM andere Lösungsansätze und Strategien; die Voraussetzungen waren allein dank der räumlichen und personellen Ausstattungen aufgrund städtischer Förderungen aber vollkommen anders als in Würzburg. So führte die hiesige Situation zu nervenzehrenden Auseinandersetzungen und vielen Missverständnissen innerhalb der „Szene”: Ordnungspolitische Maßnahmen, sprich Polizei, waren schließlich das letzte, aber nicht zu umgehende Mittel. Nach gut eineinhalb Jahren, die das AKW zudem an den Rand des ökonomischen Ruins trieben, war die Machtfrage entschieden. Die Punks [15] flogen raus.

Kommerzialisierung - Professionalisierung

Unter dem Druck der Verhältnisse offenbarten sich auch andere ungeklärte Probleme. Das AKW war eben nicht nur ein von ideellen Engagement getragenes Kultur- und Kommunikationszentrum, es war auch zur Existenzgrundlage vieler Mitarbeiter geworden: „Fast alle Mitarbeiter waren auf das Geld im AKW angewiesen.” Die sozialen, von unterschiedlichen Lebensstilen geprägten Auseinandersetzungen und die Erfahrungen der täglichen Maloche als Beschäftigter „in einer Art Dienstleistungsbetrieb für die Szene” (Lang), all dies wurde guter Nährboden für einschneidende Veränderungen. Man könnte die Auseinandersetzung mit dem Lebensstil „Punk” auch als Katalysator für längst angelegte Veränderungen begreifen.

Ägyptisch: alternatives Disco-Ambiente

Anfang '85 präsentierte sich das AKW-Team in neuer Form. „Dem bislang geltenden Bock- und Freiwilligkeits-Prinzip wird das 'Hauptamtlichen-Modell' entgegengesetzt”, das Jugendzentrum- und Sperrmülldesign kommt auf den Sperrmüll. „Ägypten” als zeitgemäßes Design Ende '85 und die „Disco” als zentrales wirtschaftliches Standbein markieren symbolträchtig den neuen Stand der Dinge. Den ländlich-spartanischen Stil löst ein mehr städtisch geprägtes Design ab. Dies geht Hand in Hand mit einem grundlegenden Wertewandel bezogen auf Stadt und Leben in der Stadt. War „Stadt” gerade in der „Alternativszene” das Symbol von Konsum, Beton und allem, was man abgrundtief ablehnte, und das „Land” die positive Gegenprojektion, so hatte sich dies in den 80ern um 180 Grad gewandelt. Stadt und urbane Lebensqualität bekamen ein positives Image. So vollzog sich im AKW ein der Zeit angemessener Wandel, deren Vorboten sich ankündigten in der, wenn auch widerwilligen so doch distanzierten, tolerierten Begegnung mit Avantgardemusik, Wave und damit verbundenen anderen Lebensstilen.

Innerhalb von zwei weiteren Jahren entwickelte sich „das AKW kontinuierlich zu einem mittelständischen Betrieb”, formulierte das AKW-Info, dem die nicht namentlich nachgewiesenen Zitate hier entstammen, im Juli '87 mit etwas dick aufgetragenen Begriffen, aber in treffender Assoziation.

An den identitätsstiftenden Begriffen „Kollektiv” und „Selbstverwaltung” hielt man weiterhin fest. Offensichtlich versuchte man damit einen ideologischen Brückenschlag, denn die ökonomischen Veränderungen transportierten das AKW zaghaft aus seiner gesellschaftlichen randständigen Position in Richtung Zentrum der Gesellschaft - die „realpolitische” Wende des AKW.

Grüner Pfahl im autonomen Auge

Professionalisierung und ihre Konsequenzen, das prägte in dieser Zeit auch den Strukturierungsprozess der GRÜNEN [16] zur Partei. Insbesondere die realpolitische Schiene geriet dabei ins Feuer der Kritik. Die Partei „verkommt am Ende zu einem reformerischen Flügel der Etablierten”. Wohl attestierten die AKWler den GRÜNEN „den Weg von der Bewegung zur etablierten Partei”, aber gleichzeitig kritisierten sie, dass sie „sich in Strukturen, Hierarchien und Machtkämpfen nicht mehr von anderen Parteien unterscheiden”. Das eigene Scheitern an „basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen” und der daraus resultierende Aufbau professionellerer Strukturen und damit sich entwickelnder Hierarchien schien vergessen. Denn auch das Gleichheitspostulat im Kollektiv-Begriff ändert nichts daran, dass die nach dem neuen Modell hauptamtlich Angestellten nun mal eine stärkere Position hatten als die - weiterhin beschäftigten - Gelegenheitsjobber.

Dies alles wurde den GRÜNEN als Fehlentwicklung angekreidet. Professionalisierungsbestrebungen der GRÜNEN, die Auseinandersetzung unterschiedlicher Fraktionen und Weltanschauungen (Realo [17] - Fundi [18], Punk - Müsli), all dies kam so in der eigenen alternativen Ideologie nicht vor. Übersieht man dabei, dass beide Strukturen dem gleichen sozialen und kulturellem Milieu, den neuen Mittelschichten entstammen, so wird man die Analogie der Ereignisse nicht verstehen. Das AKW ist natürlich keine Partei, aber beide Strukturen entstammen einer gemeinsamen oppositionellen Grundhaltung und beide bewegen sich von einer gesellschaftlichen Randstellung Richtung Zentrum. Die einen bildeten Koalitionen, die anderen benötigten u.a. öffentliche Gelder, wollen sie ihr Angebot aufrechterhalten.

Asphaltkultur - Avantgardemusik - Politik

Die ersten beiden Bereiche waren die kulturellen Pfunde, mit deren Hilfe das AKW seinen eigenwilligen Charakter begründete und in dem es vor allem musikalisch internationalen Standard präsentierte. Die Vielzahl der unterschiedlichsten politischen Veranstaltungen, die das AKW als Veranstaltungsort ermöglichte, dokumentiert seinen Stellenwert in der politischen Kultur, für den es in Würzburg keinen Ersatz gibt. Hieran wird sich auch in Zukunft das AKW messen lassen müssen, will es weiterhin seinen Anspruch gerade als „Soziokulturelles Zentrum” erheben. Doch nicht nur in diesem Punkt werden die Ansprüche eines neuen AKW mit Sicherheit größer. Schlusswort von Christian Klement: „Das neue AKW muss erheblich professionalisiert werden, und es bedarf der staatlichen bzw. öffentlichen Subvention.”

Siehe auch

Weblinks

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